071 Vom Hyper-Dancing und Müther-Hype – zwei Tage mit Ulrich Müther

Die Tagungsteilnehmer*innen strömen zur Hyparschale. Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Von nächtlichen Zugfahrten mit Ulrich Müther über die richtige Aussprache der Hyper- oder Hyparschale bis zur Eislaufbahn in einem Mütherbau: In dieser Podcastfolge lassen wir es ordentlich „müthern“ und das Leben und Wirken des „Landbaumeisters“ von der Insel Rügen Revue passieren. Am 21.7. hätte er Geburtstag gefeiert, vor 91 Jahren wurde der Bauingenieur geboren. Deshalb geht an diesem Tag die Podcastfolge online.

Unter dem Motto “Harte Schale, weicher Kern?” widmete sich der brandenburgische Denkmaltag, in diesem Jahr gemeinsam mit dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, den denkmalpflegerischen Erfahrungen bei der Restaurierung und Sanierung ausgewählter Bauten von Ulrich Müther. In einem zweitägigen Programm erlebten die circa zweihundert Teilnehmer*innen spannende Präsentationen rund um die Bauten von Ulrich Müther und kamen intensiv ins Gespräch. Dr. Wera Groß vom BLDAM und der Architekt Lutz Grabowski (immer.gut architektur) führten die Teilnehmenden über das Gelände der Hyparschale in Templin und gaben dabei interessante Einblicke in die Architektur des Gebäudes und seines Umfeldes. So besitzt der Schalenbau, in Anlehnung an seine ursprüngliche Nutzung als Gaststätte mit Dancefloor, eine Glitzerdecke und in der angrenzenden Kindertagesstätte befindet sich ein Fledermaushotel.

Das Logo der Landesdenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern zeigt eine Müther’sche Hyparschale

Ulrich Müther (1934–2007) entwarf als Bauingenieur mehr als 70 doppelt gekrümmte Beton-Schalentragwerke, die er als Bauunternehmer zu großen Teilen auch mit errichtete. Nach einer Phase der Missachtung nach 1989 zählen diese Bauten heute zu den eindrucksvollen Beispielen der Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR und werden sorgsam erhalten. An den Beispielen in Templin, Rostock-Schutow, Neubrandenburg und Magdeburg wurden die unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten sowie die jeweiligen Befund- und Schadenslagen analysiert. Vorgestellt und diskutiert wurden dabei die denkmalpflegerischen Strategien und Nutzungskonzepte, die nicht nur die Substanz der Gebäude beeinflussen, sondern auch deren äußeres Erscheinungsbild prägen.

Durch den Vergleich dieser vier markanten Beispiele konnten wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, die sowohl für die Erhaltung als auch für die zukünftige Nutzung historischer Bauwerke der Nachkriegszeit von Bedeutung sind. Es ist geplant, die Ergebnisse in einem Tagungsband zu dokumentieren, um das gesammelte Wissen nachhaltig für zukünftige Projekte bereitzustellen.

Der gemeinsame Denkmaltag der Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in der Templiner Hyparschale war sehr gut besucht. Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Der gemeinsame Landesdenkmaltag 2025 ist eine Veranstaltung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums und des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern in enger Zusammenarbeit mit der Brandenburgischen Architektenkammer. Kooperationspartner sind die Brandenburgische Ingenieurkammer, die Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern, die Ingenieurkammer Mecklenburg-Vorpommern, das Müther-Archiv sowie die Stadt Templin.

Wir danken der Wüstenrot-Stiftung für die großzügige Förderung.

Der Denkmaltag auf YouTube und Instagram.

Interviews und Gespräche mit: Prof. Dr. Thomas Drachenberg, Dr. Ramona Dornbusch, Dr. Wera Groß, Sabine Dahl, Journalistin und Moderatorin, Lutz Grabowski, Architekt, Prof. Matthias Ludwig und Dr. Dina Falbe vom Müther-Archiv der Hochschule Wismar, Dipl. Ing. Architekt Michael Bräuer, Weggefährte Müthers und Passant*innen.

Gemeinsamer Denkmaltag der Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommen

Bericht auf der Website des BLDAM
Programm

Weiterführende Links

Mütherarchiv

Hyparschale Templin

Immergut-Architektur

Müther’s Vorbild: Félix Candela

Dipl. Ing. Architekt Michael Bräuer, Weggefährte Müthers

Film: Die Hyparschale in Magdeburg

Kurzfilm über Ulrich Müther

Popkultureller Tipp

Scooter – Hyper Hyper

070 Gegen das Vergessen

Archäologisches Workcamp in der Gedenkstätte Ravensbrück

Blick über das Untersuchungsareal im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück. Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Weite Flächen, brüchiger Beton und Vogelgezwitscher und mittendrin eine Gruppe von internationalen Freiwilligen. Welche Bedeutung hatte das größte Frauen-Konzentrationslager auf deutschem Boden? Wie wurde der 80. Jahrestag der Befreiung in Ravensbrück begangen? Wie wird die Gedenkstätte von Besucher*innen wahrgenommen? Und darf man in einem ehemaligen Konzentrationslager ausgraben? In dieser Folge der DENKMALZEIT begleiten wir – mit Unterstützung von Eva Gutensohn vom radio dreyeckland – einen Tag lang das einwöchige archäologische Workcamp in der Gedenkstätte Ravensbrück bei ihren Untersuchungen und Dokumentationen auf dem Gelände, unterhalten uns mit den Teilnehmenden, der Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Dr. Andrea Genest, und der Dezernatsleiterin Archäologische Denkmalpflege am BLDAM, Katharina Malek-Custodis.

Freigelegter Bereich der Baracke 32. Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Die Idee des Projektes ist es, dass die zeitgeschichtliche Archäologie zusammen mit der Geschichtswissenschaft in Gedenkstätten praktische Anwendung findet und so durch den partizipativen Ansatz, bei der archäologischen Dokumentation ein Zugang für junge Erwachsene zum Thema geschaffen wird. Ausgegraben oder wie Katharina Malek-Custodis sagt „archäologisch dokumentiert“, wird die Baracke 32, eine so genannte „Nacht- und Nebelbaracke“ (s. unten), deren Steinfußboden per Zufall bei gärtnerischen Arbeiten während eines anderen Workcamps entdeckt wurde. Die Archäologin berichtet davon, dass nach dem Ende des Krieges generell zahlreiche Akten vernichtet wurden und Archäologie manchmal die einzige Wissenschaft ist, die Vergessenes wieder zurück ans Tageslicht befördern kann. Dr. Genest ergänzt, dass das gesamte Gelände vom Überlappen zweier Zeitschichten geprägt ist, der Zeit des Nationalsozialismus und der Phase der Um- und Nachnutzung der Roten Armee. So verwundert es auch nicht, dass „große“ Funde ausblieben, manchmal ist kein Fund auch ein Ergebnis. In der zeitgeschichtlichen Archäologie kann es von sehr großer Bedeutung sein, nichts zu finden, weil bestimmte Bereiche beräumt wurden, um alles in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch im nächsten Jahr soll die Zusammenarbeit zwischen dem BLDAM und der Gedenkstätte Ravensbrück fortgeführt werden und ein weiteres archäologisches Workcamp die Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers untersuchen. Mitmachen können Interessierte jeden Alters!

Dokumentationsarbeiten: Unter dem Betonboden, der während der Nutzung durch die Rote Armee angelegt wurde, sieht man den Ziegelboden aus der Zeit des nationalsozilistischen Terrorregimes. Foto: C. Krauskopf, BLDAM

Was genau gefunden wurde, hören Sie hier:

Podcastfolge mit Übersetzung der englischsprachigen Interviews

Podcastfolge ohne Übersetzungen (teilweise auf Englisch)

Überblick über die Geschichte des ehemaligen Konzentrationslagers

In Ravensbrück bei Fürstenberg wurde 1939 das größte deutsche Frauen-Konzentrationslager errichtet. 1941 wurde ein Männerlager, 1942 das „Jugendschutzlager Uckermark“ angegliedert. Von 1939 bis 1945 wurden 120.000 Frauen, 20.000 Männer und 1.200 weibliche Jugendliche des „Jugendschutzlagers Uckermark“ als Häftlinge registriert, sie stammten aus mehr als 30 Nationen. Zehntausende wurden ermordet oder starben an Hunger, Krankheiten oder durch medizinische Experimente. Am 30. April 1945 befreite die Rote Armee das Lager und rund 2.000 zurückgelassene kranke Häftlinge. Viele starben später an den Folgen der KZ-Haft. Nach Kriegsende nutzte die sowjetische Armee große Teile des ehemaligen Konzentrationslagers. Seit 1948 bemühten sich Überlebende und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, den Bereich um das Krematorium als Gedenkort zu erhalten. Die 1959 gegründete Mahn‑ und Gedenkstätte Ravensbrück ist seit 1993 Teil der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG). 2013 eröffnete die Gedenkstätte im Beisein von Überlebenden die neue Dauerausstellung „Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück – Geschichte und Erinnerung“.

Der „Nacht- und Nebel-Erlass“

Am 7. Dezember 1941 erging ein „Führererlass“, der die Inhaftierung von politischen Gegnern, besonders aus dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime und die Besetzung von Nachbarländern, regelte. Danach wurden rund 7.000 des Widerstands verdächtige Personen aus zahlreichen europäischen Ländern verschleppt. Man verurteilte sie heimlich, behielt sie aber auch bei erwiesener Unschuld in Haft, ohne dass die Angehörigen irgendwelche Auskünfte erhielten. Das war der „Nacht- und Nebel“-Charakter der Aktion, der der Einschüchterung dienen sollte. Auch im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück waren Opfer des Erlasses inhaftiert. Die Inkraftsetzung des Erlasses durch das Oberkommando stellt eines der Kriegsverbrechen der Wehrmacht und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Weitere Informationen

Gedenkstätte Ravensbrück

Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten

Bundeszentrale für Politische Bildung: Ravensbrück

Interviews:
Anne-Marie Graatz, BLDAM
Christof Krauskopf, BLDAM
Eva Gutensohn, radio dreyeckland

Die Übersetzungen werden von Annika Waller und Joachim Stark (beide BLDAM) gesprochen.

068 Denkmalpflege. MehrWert als Du denkst

Wofür braucht man eigentlich das ganze alte Zeug? Was geht mich das an? In dieser Folge der DENKMALZEIT stellen wir die neue Imagekampagne „MehrWert“ der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL) vor und sprechen mit Dr. Annika Tillmann vom Landesamt für Denkmalpflege in Hessen. Sie ist Leiterin der Geschäftsstelle der VDL.

Seite aus dem Magazin zur Imagekampagne mit den Denkmalbeispielen aus den Bundesländer. Konzeption, Redaktion, Gestaltung: Anzinger und Rasp, München. Link zum Magazin als Flipbook s. unten

Denkmalpflege als Klimaschützerin, Identitätsstifterin u. Innovationstreiberin

Denkmalpflege ist mehr als altes Zeug bewahren – sie ist aktiver Klimaschutz, nachhaltige Stadtentwicklung und ein Spiegel unserer Gesellschaft. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung wird sie oft auf bürokratische Hürden und vermeintliche Verhinderungen reduziert. Die neue Imagekampagne „MehrWert“ räumt mit diesen Klischees auf und zeigt, welchen gesellschaftlichen Mehrwert Denkmalpflege für alle hat. Die Kampagne startet 2025 im Jubiläumsjahr des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 und lädt mit mutigen Fragen zum Perspektivwechsel ein: „Interessiert sich eigentlich irgendjemand für das, was die da machen?“ oder „Wäre die Kohle für einen neuen Kindergarten nicht sinnvoller investiert?“ – Diese provokanten Fragen sind Teil eines neuen Kommunikationskonzepts, das den gesellschaftlichen Wert von Denkmalen in den Mittelpunkt rückt.

Ein ikonisches Bauwerk aus Brandenburg im Magazin: Der Einsteinturm in Potsdam. Konzeption, Redaktion, Gestaltung: Anzinger und Rasp, München. Link zum Magazin als Flipbook s. unten

Denkmalpflege: Nachhaltig, wirtschaftlich, zukunftsweisend
In Brandenburg stehen nur etwa zwei Prozent der Gebäude unter Denkmalschutz – doch ihr Einfluss reicht gerade heute weit über ihre Anzahl hinaus. Sie sind klimaschonend, da sie bestehende Ressourcen erhalten, CO2-intensive Neubauten vermeiden und der Umgang mit ihnen Vorbild für eine dringend notwendige Reparaturgesellschaft ist. Sie sind wirtschaftlich wertvoll, da sie Städte und Regionen attraktiver machen und Arbeitsplätze schaffen. Und sie sind gesellschaftlich relevant, weil sie Identität und Heimat für alle Menschen bieten.

400 Millionen Farben kann der Spektrograf des Einsteinturms unterscheiden – nicht der einzige Superlativ des Gebäudes. Konzeption, Redaktion, Gestaltung: Anzinger und Rasp, München. Link zum Magazin als Flipbook s. unten


Ein Magazin, starke Geschichten und Social Media
Kernstück der Kampagne ist ein hochwertiges Magazin, das am 7.3.2025 erschienen ist: Anhand der 18 fotogensten Denkmale Deutschlands erzählt es emotionale und ungewöhnliche Geschichten. Extrem hochwertige Bilder und inspirierende Geschichten eröffnen einen ganz neuen Blick auf unsere Denkmale. Essays zu gesellschaftlich relevanten Themen zeigen nahbar und klug wie relevant Denkmalpflege für aktuelle gesellschaftliche Fragen ist. Und ein überraschendes Denkmal-Lexikon ermöglicht weitere außergewöhnliche Perspektiven auf die Denkmalpflege. Flankiert wird die Kampagne von Social-Media, Plakaten und Veranstaltungen, die sich gezielt an ein breites Publikum richten – von Politik bis zur Zivilgesellschaft.


Mehr als nur altes Zeug – MehrWert für die Gesellschaft
Die Botschaft ist klar: „Denkmalpflege ist weder Nostalgie noch Elfenbeinturmdisziplin, sondern ein aktiver Beitrag zur Zukunft. Wer sich um Denkmale kümmert, sorgt für nachhaltige, lebenswerte Städte und Gemeinden, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und bewahrt wertvolles Wissen für kommende Generationen.“ Die Kampagne entstand auf Initiative des Arbeitskreises Öffentlichkeits- und Pressearbeit der VDL, federführend war hier Doris Olbeter vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, die gemeinsam mit der Präsidentin des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, Christina Krafzyk, und der Leiterin des Hamburger Denkmalschutzamtes, Dr. Anna Joss, die „Taskforce Imagekampagne“ bildete. Die Entwicklung und Umsetzung der Kampagne übernahm die Münchner Agentur Anzinger & Rasp.

Weiterführende Links:

Das Magazin zur Imagekampagne ist hier als Flipbook abrufbar

Die YouTube-Seite des BLDAM

Podcast-Folge “Ein Turm für Einstein”

MehrWert auf Youtube

www.vdl-denkmalpflege.de

Pressemeldung

067 Barockes Hollywood in Brandenburg

Zehn Jahre Museum Himmlisches Theater im Kloster Neuzelle

Der Eingang zum Himmlischen Theater. Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Himmlisches Wetter, himmlische Reden und himmlisches Theater: Ein „europaweites Unikat“ feiert im Kloster Neuzelle Jubiläum. Vor 10 Jahren wurde das Museum Himmlisches Theater eröffnet, das seitdem jeweils zwei Szenen der barocken Passionsdarstellungen des Heiligen Grabs der Öffentlichkeit präsentiert. In dieser Folge der DENKMALZEIT haben wir uns in die barocken Festivitäten gestürzt, den himmlischen Reden gelauscht, das Depot besucht, mit Wegbegleiter:innen des Museums gesprochen und zum Schluss göttlichen Beistand gesucht und gefunden.

Prof. Dr. Thomas Drachenberg bei seiner Rede aus Anlass des Jubiläums im Museum Himmlisches Theater. Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Gemeinsam mit dem Geschäftsführer der Stiftung Stift Neuzelle, Norbert Kannowsky, sprachen für die Fördermittelgeber Brigitte Faber-Schmidt, Abteilungsleiterin Kultur im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Landeskonservator und stellvertretender Direktor des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums, Prof. Dr. Thomas Drachenberg, sowie Veit Kalinke als Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Oder-Spree und stellvertretend für die Ostdeutsche Sparkassenstiftung bei einem Festakt vor den aktuell ausgestellten Szenen “Gebet am Ölberg” und “Dornenkrönung Jesu”. Ein weiterer Höhepunkt war die Vorstellung des Szenenmodells durch die Denkmalpädagogin und Restauratorin Dr. Dorothee Schmidt-Breitung, die auch gleichzeitig ein neues Vermittlungsmodell präsentierte. Einblicke in das Depot erhielt man durch die versierten und spannenden Führungen von Prof. Mechthild Noll-Minor vom BLDAM.

Restaurierung der Kulissen in Wünsdorf – unter Vollschutz. Foto: M. Noll-Minor, BLDAM

Seit 2015 werden die Neuzeller Passionsdarstellungen im Museum Himmlisches Theater präsentiert. Die aufwendige Konservierung der nahezu 275 Jahre alten Holz- und Leinwandkulissen und Figuren bedarf großer Expertise. Die Konservierungsarbeiten werden von der Stiftung Stift Neuzelle und dem Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum in Wünsdorf koordiniert. Heute sind noch 229 Elemente der ursprünglich wohl 240 Tafeln und Leinwände erhalten. 14 Szenen vom „Gebet am Ölberg“ bis hin zur „Grablegung Jesu“ erzählen, ergänzt durch eine Auferstehungsszene, in fünf Bühnenbildern das Leiden Jesu und bestechen durch ihre barocke Opulenz. Dabei wird jede Station der Passion Christi durch eine Figurengruppe in Bühnenbildern dargestellt. Die weiteren Figuren- und Figurengruppen kommentieren das Geschehen oder Erzählen andere Geschichten aus dem Alten und dem Neuen Testament, die mit der Passionsszene korrespondieren.

Das Bühnenbild „Palast“. Foto: M. Noll-Minor, BLDAM

Der böhmische Künstler Johann Felix Seyfried schuf das Heilige Grab um 1751 im Auftrag des Klosters Neuzelle. Es ist mit einem besonderen Wortreichtum an Bibelzitaten ausgestattet. Das Bild- und Wortmaterial richtete sich – in einem protestantischen Umfeld – sowohl gegen die reformatorische Sicht der Eucharistie als auch gegen aufklärerisches Gedankengut. Auch heute noch zählt das Heilige Grab zu den bedeutendsten Kunstwerken im Kloster Neuzelle sowie im Land Brandenburg.

Seit dem 16. Jahrhundert wurden in der Karwoche und zur Osterliturgie vor allem in Süddeutschland und im Alpenraum Theaterarchitekturen in Kirchen aufgestellt, die den Leidensweg, die Grablegung und die Auferstehung Jesu Christi illustrieren sollten. Diese Heiligen Gräber oder Ostergräber wurden nicht für Passionsspiele genutzt, sondern dienten ausschließlich der Verinnerlichung, der Betrachtung und dem Gebet. In seinem Erhaltungszustand und der Größe der Kulissen hat das Neuzeller Heilige Grab ein Alleinstellungsmerkmal und zählt zu den sakralen Kunstwerken von europäischem Rang.

Weiterführende Links:

Kloster Stift Neuzelle

Zisterzienserkloster Maria Friedenshort

Seenland Oder-Spree

Museum Utopie und Alltag Eisenhüttenstadt

Plattform kulturelle Bildung

Kulturland Brandenburg

Kultur- und Denkmalförderung des Landes Brandenburg

066 Vegetationsgeschichte

Cover des neuen Handbuchs. Springer-Verlag

Etwa 80 Jahre lang galt der „Firbas“ als Standardwerk zur Vegetationsgeschichte. Franz Firbas (1902-1964), Biologieprofessor in Göttingen sowie zwischenzeitlich Stuttgart-Hohenheim und Straßburg, fasste die Erkenntnisse der bereits im im frühen 20. Jahrhundert von dem schwedischen Geologen Lennart von Post (1884-1951) „erfundenen“ Pollenanalyse zusammen und publizierte sein zweibändiges Werk „Spät- und nacheiszeitliche Waldgeschichte Mitteleuropas nördlich der Alpen“ in den Jahren 1949 und 1952 im Jena. Er legte damit die Grundlage für eine überregionale Betrachtung der Vegetationsentwicklung auf der Basis von pollenanalytischen Untersuchungen. Seine bahnbrechende Einteilung in Entwicklungsphasen, die er anhand der Pflanzenausbreitung erkannte, sind bis heute gültig, sie werden noch immer als Firbas-Zonen bezeichnet.

Die beiden Bände des „Firbas“ von 1946 und 1952. Verlag Gustav Fischer, Jena

Nach über 80 Jahren liegen jedoch so viele neue Erkenntnisse auf der Basis hunderter Pollenprofile vor, dass eine Überarbeitung überfällig war. Es kam allerdings nicht zu einer überarbeiteten Neuauflage, sondern zu einem vollständig neuen Projekt. Die Herausgeber*innen Dr. Ingo Feeser, Dr. Walter Dörfler (beide Universität Kiel), Prof. Dr. Manfred Rösch (Universität Heidelberg), Dr. Susanne Jahns (BLDAM), Dr. Steffen Wolters und Prof. Dr. Felix Bittmann (beide Niedersächsisches Institut für historische Küstenforschung) legen nun die „Vegetationsgeschichte der Landschaften in Deutschland) vor. Die Herausgeber*innen und weitere Autor*innen bieten darin in einführenden Kapiteln einen Überblick über Methodik und Forschungsgeschichte der Pollenanalyse und stellen in 39 weiteren Kapiteln die Vegetationsgeschichte in den deutschen Landschaften vor. Dabei wurde auf eine Vergleichbarkeit geachtet, so dass sich aus den regionalen Bildern ein Gesamtbild ergibt.

Vegetation im Spreewald. Foto: S. Jahns, BLDAM

In dieser Folge der DENKMALZEIT unterhält Dr. Christof Krauskopf mit Dr. Susanne Jahns, der Archäobotanikerin des BLDAM, über den „Firbas“ und stellen die Neuerscheinung vor – die nicht nur für Fachleute verfasst ist. Sie soll auch allen Interessierten dienen und für den Schulunterricht geeignet sein.

Ingo Feeser, Walter Dörfler, Manfred Rösch, Susanne Jahns, Steffen Wolters und Felix Bittmann (Hrsg.): Vegetationsgeschichte der Landschaften in Deutschland. Berlin 2025.

Pollen unter dem Mikroskop in 500-facher Vergrößerung. Foto: Dartmouth College Electron Microscope Facility

Glossar

Pollen: Blütenstaub, der von Samenpflanzen ausgebildet wird. Die winzigen Pollenkörner werden durch Wind, Regen und Insekten verbreitet und dienen der Befruchtung von Pflanzen. Pollenkörner sind zwischen 18 und 80 Mikrometer (µm, millionstel Meter, 0,000001 m) groß und nur mit dem Mikroskop sichtbar.

Pollenanalyse: Die P. oder Palynologie identifiziert Pollen in (Boden)Proben. Sie dient u.a. der Rekonstruktion der Vegetationsgeschichte und trägt zur Erforschung der Klimaentwicklung bei.

Radiokohlenstoffdatierung: Die R. oder 14C-Datierung beruht auf dem Verhältnis von 12C und 14C. Während der 12C-Gehalt von organischem Material auch nach dem Absterben erhalten bleibt, das radioaktive Isotop 14C aber zerfällt, lässt sich aus dem Verhältnis der beiden Kohlenstoffisotope der Zeitraum seit dem Absterben eines Lebewesens errechnen.

Tephra: Feines vulkanisches Material, das bei Vulkanausbrüchen mehr oder weniger weit verteilt wird. Ist die Zusammensetzung bekannt, können Tephra-Lagen mit bestimmten Vulkanausbrüchen in Verbindung gebracht werden. Wenn der Zeitpunkt des Vulkanausbruchs datiert werden kann, können auch weit entfernt gefunden Tephra-Lagen zur Datierung von Bodenschichten, aber auch Pollenproben beitragen.

062 Baugebundene Kunst der DDR – Gespräch mit Rainer Krauß

Wandmosaik von Walter Womacka im Treppenhaus des Rathauses im Wohnkomplex II in Eisenhüttenstadt. Foto: H. G. Hiller von Gaertringen

Baugebundene Kunst der DDR rückt, wie viele Themen der jüngeren Kunst- und Architekturgeschichte, in den letzten Jahre verstärkt ins Interesse der Denkmalpflege. Das BLDAM widmete sich dem Thema mit einem umfangreichen Erfassungsprojekt, das in den kommenden Jahren weitergeführt wird.

In dieser Folge der DENKMALZEIT spricht die Dezernatsleiterin Inventarisation des BLDAM, Dr. Christine Onnen, mit dem Kunsthistoriker Rainer Krauß. Rainer Krauß studierte Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er war nach dem Studium zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Kunstsammlungen Weimar, von 1981 bis 1986 Mitarbeiter am Institut für baugebundene Kunst „Mon Bijou“ der Kunsthochschule Berlin Weißensee und danach Direktor der Kunstsammlungen Weimar.

Willi Sitte, Relief „Geschichte der Arbeiterbewegung“, 1965, Cottbus, Berliner Platz 1, Foto D. Möller, BLDAM

Im Institut für baubezogene Kunst hatte Krauß die Möglichkeit, sich mit den Künstlern während ihres Schaffensprozesses auszutauschen und die Entstehung der Kunstwerke direkt mitzuerleben.

Besonders großflächige baubezogene Kunst entstand im Entwurf, in der Regel im Maßstab 1:10, und wurde von darauf spezialisierten Künstlern oder auch Kunsthandwerkern am Bau umgesetzt. Die entwerfenden Künstler waren in den Umsetzungsprozess insofern eingebunden, dass sie jeweils überwachten, ob die Kunstwerke in ihrem Sinne umgesetzt wurden.

Signatur Walter Womackas auf dem Wandmosaik im Treppenhaus des Rathauses im Wohnkomplex II in Eisenhüttenstadt. Foto: H. G. Hiller von Gaertringen

Rainer Krauß lernte im Institut zahlreiche bedeutende Künstler, wie Walter Womacka, den Rektor der Kunsthochschule Weißensee und Leiter des Instituts, aber auch Heinrich Tessmer, Dieter Gantz, Arno Mohr und andere kennen.

Über seine Zeit im Institut für baubezogene Kunst, die Zusammenarbeit mit den Künstlern und die sich im Laufe der Jahre ändernde politische Einflussnahme auf die Kunstproduktion berichtet Rainer Krauß in diesem Gespräch.

Links zum Thema

Walter Womacka beim Goethe-Institut

Walter Womacka

Walter Womacka beim Art-Center Berlin

Wanderausstellung 70 Jahre Kunst am Bau

059 Willst Du abkratzen?

Auf Ausgrabung mit dem Referat Großvorhaben

Die Grabungsfläche in Neurosow (UM). Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Vom Scherbenjackpot bis zum Abkratzen: Ausgraben kann alles sein – kalt, überraschend, matschig, und humorvoll, nur eines nicht: langweilig. Wir waren mit dem Referat Großvorhaben auf Ausgrabung in Neurosow, in der Uckermark, und haben die Archäolog*innen, Grabungstechniker*innen, Vermesser*innen und Arbeiter*innen bei ihrer Arbeit beobachtet, standen mit ihnen im Regen und kratzten uns gemeinsam Schicht für Schicht durch die lehmige Erde.

Wie sieht das Leben einer Archäologin aus? Was ist der Unterschied zwischen Funden und Befunden? Was ist eine Blockbergung? Warum gräbt man aus und wie geht man dabei vor? Das zehnköpfige Grabungsteam, welches sich langsam aber sicher „Spezialeinheit der LBK“ (Linienbandkeramik) nennen könnte, gräbt seit Mitte April in dem kleinen Ort nahe der polnischen Grenze aus. Der Fundplatz hat aufgrund der gefundenen Linienbandkeramik besondere Bedeutung. Das Besondere an der LBK in der Uckermark ist, dass sie hier nicht so oft vorkommt.

Die Archäologin Claudia Hartung bei der Dokumentation von Befunden.
Foto: A.-M. Graatz, BLDAM

Insgesamt wurden drei verschiedene Zeitschichten entdeckt: Die Linienbandkeramik, die Eisenzeit und die Slawenzeit, also von 5600 v. Chr. bis ca. 600 n. Chr. Mehrere Grubenkomplexe und mindestens zwei Häuser wurden ausgegraben, was für einen Siedlungsplatz spricht. Woher die Menschen der Linienbandkeramik kamen, wie man auch bei Minusgraden ausgräbt und welches Tier, den Grabungsfortschritt regelmäßig kontrolliert, erfahrt ihr in dieser Podcastfolge.

Die Gespräche führte Anne-Marie Graatz, Pressesprecherin am BLDAM. Gesprächspartner:innen sind die Archäologin Claudia Hartung, der Archäologe Dr. Ralf Lehmphul und die Restauratorin Anna Gürschner-Vidart.

051 70 Jahre Museum für Ur- und Frühgeschichte Potsdam

Das Museum für Ur- und Frühgeschichte Potsdam (MUFP) hatte in diesem Jahr 70jähriges Gründungsjubiläum. Unter dieser Bezeichnung existiert es zwar nicht mehr, es ist aber die Vorgängerinstitution des Archäologischen Landesmuseums Brandenburg (ALB). Die archäologische Sammlung des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege, zu dem das ALB heute gehört, geht auf die Sammlung des MUFP zurück.

Seit 1953 betrieb das MUFP in erster Linie die archäologische Denkmalpflege in drei Bezirken der DDR: Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus. In der DDR hatte man die ursprünglichen Länder aufgelöst und eine Bezirksgliederung eingeführt. Die drei Bezirke entsprachen jedoch in etwa dem Land Brandenburg.

Erster Dienstsitz des Museums
im Garagenhaus des „Neuen
Gartens“ in Potsdam und erster
Dienstwagen (rechts). Foto: Archiv BLDAM

Einen Museumsbetrieb gab es anfänglich noch nicht. Das war bereits aus räumlicher Sicht nicht möglich. Die erste Direktorin, Dr. Sieglind Kramer, saß mit einer Mitarbeiterin, der Sekretärin Charlotte Schulz, in zwei Büros. Nicht einmal einen eigenen Haushalt gab es in der Anfangszeit. Nach und nach kamen weitere Mitarbeiter*innen dazu, mittlerweile im sogenannten Garagenhaus am Neuen Garten in Potsdam. Die Tätigkeit beschränkte sich weiterhin auf die Denkmalpflege.

Umschlag des ersten Bandes der „Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam“ von 1962

Eine Dauerausstellung wurde erst möglich, nachdem man 1963 Schloss Babelsberg in Potsdam bezogen hatte. Das Schloss mit seinen 45 Räumen wurde nach und nach „gefüllt“, zuletzt saß man erneut beengt mit 55 Mitarbeiter*innen in der neogotischen, hinsichtlich der internen Kommunikationswege schwierigen Architektur.

Schloss Babelsberg, seit 1963 Dienstsitz des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam. Foto: D. Sommer, BLDAM

Nach der Wiedervereinigung musste, nach organisatorischen Umstrukturierungen, zuerst die Dauerausstellung aus baulichen Gründen geschlossen werden. Die denkmalpflegerische Arbeit ging auf der Basis eines neuen Denkmalschutzgesetzes und mit neuer Leitung weiter. Der Nachfolger von Sieglind Kramer war seit 1965 Dr. Bernhard Gramsch gewesen. Er wechselte auf den Posten eines Referatsleiters, neuer Direktor und Landesarchäologe wurde Prof. Dr. Jürgen Kunow.

Blick in die Dauerausstellung in Schloss Babelsberg. Foto: D. Sommer, BLDAM

Es sollte bis zum Jahr 2008 dauern, bevor eine neue Dauerausstellung eröffnet werden konnte. Zwischenzeitlich war Prof. Kunow nach Nordrhein-Westfalen gewechselt und an seine Stelle, als Landesarchäologe und stellvertretender Direktor des 1999 entstandenen Landesamts für Denkmalpflege und archäologischen Landesmsuems, war 2004 Prof. Dr. Franz Schopper gerückt. Ihm kam die Aufgabe zu, das bereits in Planung befindliche Archäologische Landesmuseum im Dominikanerkloster in Brandenburg an der Havel einzurichten. Gleichzeitig trat 2004 ein geändertes Denkmalschutzgesetz in Kraft, das die Arbeit der Fachbehörde, besonders hinsichtlich der archäologischen Arbeit, änderte, während der Personalbestand seit dem Jahr 2000 kontinuierlich sank.

Das Archäologische Landesmuseum im Dominikanerkloster in Brandenburg an der Havel. Foto: C. Krauskopf, BLDAM

Im Jahr 2011 übernahm Prof. Schopper den Posten des Direktors und seit einigen Jahren erholt sich der Personalbestand, so dass einige Bereiche, etwa die Betreuung der ehrenamtlichen Bodendenkmalpflege und auch der Forschung, personell besser bedient werden können.

Über die 70jährige Geschichte der archäologischen Denkmalpflege und des Museums, die Entwicklung seit 1990, den derzeitigen Stand und die Zukunftsaussichten unterhält sich in dieser Folge der DENKMALZEIT Dr. Christof Krauskopf mit Dr. Bernhard Gramsch und Prof. Dr. Franz Schopper.

Weiterführende Links

Informationen zu Dr. Sieglind Kramer.

Liste der „Vertrauensmänner für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer“ und Landesarchäologen auf wikipedia.

Archäologisches Landesmuseum Brandenburg

Aufgaben des Brandenburgische Landesamts für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums

Weiterführende Literatur

Sieglind Kramer: Die Entwicklung der Bodendenkmalpflege in Brandenburg. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 1, 1962, 5-15.

Horst Geisler: Sieglind Kramer 13.9.1914-12.1.1965. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 3, 1964, 198-199.

Jürgen Kunow: Das Brandenburgische Landesmuseum für Ur- und Frühgeschichte. In: Nicht nur Sand und Scherben … Archäologische Entdeckungen im Land Brandenburg von der Steinzeit bis zum Mittelalter. Potsdam 1994, 16-18.

Thomas Kersting/Franz Schopper: Die Brandenburger Landesarchäologie. Zukunft für Vergangenheit. In: Die Mark Brandenburg. Zeitschrift für die Mark und das Land Brandenburg 107: Archäologie in der Mark. Berlin 2017, 2-11.

046 Das Dorf des Mittelalters

Blick in die Dorfwüstung Hohenrode im Harz. Foto: C. Krauskopf

Die Erforschung mittelalterlicher Dörfer ist ganz besonders hinsichtlich der Realien eine Herausforderung. Die Schriftquellen schweigen sich nicht komplett über die Verhältnisse im Dorf aus. Allerdings muss immer bedacht werden, dass die Schriftkundigen in der Regel nicht aus dem Kreis der Dorfbewohner*innen kamen, sondern Kleriker, seltener Adlige waren. Und diese schilderten die Landbevölkerung häufig nicht positiv, die Texte zeichnen aber auch nicht unbedingt realistische Bilder. „Gott hat drei Lebensweisen geschaffen: Bauern, Adelige und Pfaffen.“ So beschreibt der Spruchdichter Freidank im 13. Jahrhundert die Ständeaufteilung. Eine französische Buchminiatur aus dem 13. Jahrhundert, die heute in der British Library in London aufbewahrt wird, zeigt den Platz des Bauern deutlich: Der Kleriker ganz links im Bild und der zentral stehende Adlige mit Schild, Kettenpanzer, Waffenrock und Topfhelm scheinen einander zugewandt in ein Gespräch vertieft zu sein. Sie stehen gleichberechtigt, während der Bauer, kenntlich an seinem braunen Gewand und dem eisenbeschlagenen Spaten am rechten Rand hinter den beiden steht und den beiden zusieht. Seine Positionierung hinterlässt den Eindruck, dass er nicht so recht dazugehört.

Spott über den Bauern war bei den Eliten dementsprechend weit verbreitet.

Herr Neidhart von Reuental wird von Bauern bedrängt. Codex Manesse, Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 273r

„Sah man je einen Bauern so fröhlich-toll wie diesen Kerl da?
Weiß Gott! An der Spitze muß er stets bei meinem Reigen sein.
Einen Gürtel wie zwei Hände breit hat sein Schwert.
Eingebildet ist er mächtig auf die neue Joppe.
Aus vierundzwanzig kleinen Stücken besteht sie.
Die Ärmel reichen bis auf die Hand.
Ein Stück wie dieses kann man nur an solchem Hanswurst finden.“

Das mit dem Titel „Das guldin hun“, also das goldene Huhn, überschriebene Lied des Dichters Neidhart von Reuental findet sich in der Riedschen Handschrift, die um 1400 in Nürnberg entstanden ist. Heute wird sie in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrt, sie ist komplett digitalisiert und kann im Internet angeschaut werden.

Neidhart charakterisiert die Bauern als anmaßend, sie kleiden und bewaffnen sich so, wie es ihnen nicht geziemt. Eine realistische Schilderung des Alltagslebens hatten die Autoren dieser Texte jedoch nicht im Sinn.

Mittelalterliche Bildquellen lassen da etwas deutlicher Aspekte des Landlebens erkennen. Sie wurden zwar auch nicht geschaffen, um über das Alltagsleben Auskunft zu geben, Kleidung, Werkzeuge und auch Tätigkeiten lassen sich aber aus den Bildern herauslesen. Trotzdem ist es schwierig, aus Schrift- und Bildquellen Informationen zum Leben im Dorf herauszuziehen. Es gibt jedoch weitere Möglichkeiten, mehr zu erfahren: Mit Hilfe archäologischer Methodik.

Rekonstruktion des Angerdorfes Horno in der Niederlausitz (Brandenburg) im Mittelalter. Zeichnung: B. Fischer

An der archäologischen Erforschung des mittelalterlichen Dorfes sind unterschiedliche Akteure beteiligt. Neben Universitäten sind das vor allem die Landesämter für Denkmalpflege, die großflächige Ausgrabungen selbst vornehmen oder im Rahmen des Denkmalschutzes organisieren.

So konnten in den Braunkohletagebauen in den ostdeutschen Bundesländern in den letzten Jahrzehnten einige Dörfer großflächig untersucht werden, wie etwa Breunsdorf (Sachsen), Wolkenberg, Horno und Klein Görigk (alle Brandenburg). Mit dem im Rahmen der Errichtung des Flughafens BER ausgegrabenen Diepensee und den erwähnten abgebaggerten Orten im Braunkohlengebiet entstand in Brandenburg ein Forschungsschwerpunkt, der in zwei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten mündete (Der hochmittelalterliche Landesausbau und die Entwicklung der Siedlungsstrukturen in Brandenburg, Untersuchungen zu Lebensbedingungen, Siedlungsdynamik und menschlicher Ernährungsweise in mittelalterlichen ländlichen Siedlungen in Brandenburg).

Luftbild des bereits weitgehend ausgegrabenen Dorfes Wolkenberg kurz vor der Abbaggerung. Foto: G. Wetzel, BLDAM

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Bestattung in Kopfnischengrab. Diepensee (Brandenburg). Foto: A. Marx, BLDAM

Die Dorfwüstung Diepensee spielte im erstgenannten Forcshungsprojekt eine zentrale Rolle. Dazu ist bereits eine Dissertation im Druck erschienen, eine weitere befindet sich in der Druckvorbereitung (s.u.). Das mittelalterliche Dorf konnte nahezu komplett ausgegraben werden. Eine besondere Bedeutung erhält es durch die Bergung des gesamten Dorffriedhofs mit etwa 400 Gräbern, die von der Dorfgründung um 1200 bis zur Auflassung im 14. Jahrhundert angleget worden waren. Durch naturwissenschaftliche Untersuchungen konnte die Herkunft der Erstsiedler aus Flamen nachgewiesen werden.

Keramikgefäß, in einem Keller der
Wüstung Diepensee zurückgelassen.
Foto: Marx/J. Stark, BLDAM

In der Podcast-Folge unterhalten sich die Mittelalterarchäologen Dr. Christof Krauskopf und Dr. Joachim Wacker mit dem brandenburgischen Landesarchäologen Prof. Dr. Franz Schopper über die archäologische Dorfforschung in Brandenburg.

Gespräch: Dr. Christof Krauskopf, Prof. Dr. Franz Schopper, Dr. Joachim Wacker (in order of appearance)
Zitate: Daniela Moos

Erwähnte Publikationen:

Blandine Wittkopp: Die archäologischen Befunde der mittelalterlichen Wüstung Diepensee (in Druckvorbereitung für FALB)

045 Mosaike, Wandbilder, Skulpturen – baubezogene Kunst und Denkmalpflege

Frankfurt (Oder), Wandbild „Frankfurt gestern – heute“, Thomas Grzimek, 1981. Foto: Dirk Schermer, BLDAM

Mosaike, Wandbilder, Skulpturen, Brunnen, Platzanlagen – das alles kann baubezogene Kunst sein. Sie gehörte in der ehemaligen DDR zu jedem Bauvorhaben, insbesondere bei Kultur- und Wissenschaftsbauten und öffentlichen Einrichtungen. Im sozialistischen Städtebau war die Kunst integraler Bestandteil bei der Gestaltung öffentlicher Räume.

In der ehemaligen DDR gibt es daher auch noch einiges davon zu entdecken. Der Bestand ist jedoch bisher kaum wissenschaftlich erfasst und aufgearbeitet. Durch anstehende Sanierungen, Abrisse und Umbau der Städte ist vieles bedroht. Einiges ist auch schon verloren.

Cottbus, Wandbild „Bauarbeiter“, Walter Heinrich, 1977. Foto: Dirk Schermer, BLDAM

Seit über zwei Jahren laufen am Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum (BLDAM) Projekte, die baubezogene Kunst in der DDR systematisch und flächendeckend in einzelnen Städten erfassen. 2021 machte ein Pilotprojekt in Schwedt(Oder) den Anfang. Bis Ende 2022 wurde die baubezogene Kunst in Frankfurt(Oder) und Cottbus erfasst – finanziert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ebenfalls in 2022 erfasst wurde die baubezogene Kunst in Eisenhüttenstadt. Im laufenden Jahr 2023 geht es in der Landeshauptstadt Potsdam weiter.

Cottbus, Wandbild „Bauarbeiter“, Walter Heinrich, 1977. Foto: Dirk Schermer, BLDAM

Wie kam es zu der Auswahl dieser Städte? Was macht sie lohnenswert für eine solche Erfassung? Wonach genau wird dabei geschaut? Und was können uns die Kunstwerke heute über die Geschichte der DDR erzählen?

Darüber unterhält sich Julia Gerber, Pressesprecherin am BLDAM, mit Dr. Christine Onnen, Dezernatsleiterin der Inventarisation und Dokumentation am BLDAM, in dieser Folge der DENKMALZEIT.

Cottbus, Sockelrelief „Geschichte der Arbeiterbewegung im Bezirk Cottbus“, Rudolf Sitte, 1969. Foto: Dirk Schermer, BLDAM